Programm

Leoš Janáček Auf verwachsenem Pfade (1. Reihe)

In memoriam, 1. X. 1905 („Von der Straße“)

Auf verwachsenem Pfade (2. Reihe)

Geboren ist Herr Jesu Christ

Kleinseiten-Palais

Erinnerung

Im Nebel


Klavier Thomas Adès


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Als Highlight des Festivals kann schon jetzt das Klavierrezital des herausragenden britischen Komponisten, Dirigenten und Pianisten Thomas Adès gelten, dessen moderne Werke von Orchestern und Opernhäusern der ganzen Welt aufgeführt werden. In Brno wurde 2016 seine Oper Powder Her Face einstudiert. Die große Liebe des Briten ist jedoch nach wie vor das Klavierspiel, dem er sich schon in jungen Jahren an renommierten englischen Schulen widmete. Janáček gehört zu seinen Lieblingsautoren, und so entstanden vor Kurzem Aufnahmen des gesamte Klavierwerks von Leoš Janáček. Im Rahmen des Konzerts werden alle bedeutenden Kompositionen Janáčeks für Soloklavier sowie einige kleine Gelegenheitswerke erklingen.

Der poetische Klavierzyklus Auf verwachsenem Pfade entstand schrittweise in den Jahren 1900, 1908 und 1911. Die fünf Kompositionen der ersten Reihe dieses Zyklus schrieb Janáček im Jahr 1900. Sie erschienen als kleine Stücke für Harmonium in den Slawischen Melodien, die der Lehrer Emil Kolář aus Ivančice in Heftform herausgab. Um die Verbreitung dieses Zyklus machte sich der Redakteur Jan Branberger verdient, indem er im Jahr 1908 bei dem Prager Verleger Bedřich Kočí die Publikation der Stücke in Auftrag gab. Das Interesse des Verlegers an den bestehenden Kompositionen bewegte Janáček zum Schreiben weiterer Teile, so dass der Zyklus nunmehr zehn Stücke umfasste, denen der Komponist poetische Namen gab. Die Veröffentlichung kam jedoch nicht zustande, und nachdem auch der Verleger Mojmír Urbánek die Herausgabe abgelehnt hatte, wurde der gesamte Zyklus erst 1911 von Antonín Píša publiziert. Im selben Jahr erwog Janáček die Erweiterung des Zyklus um eine zweite Reihe, wobei er drei Kompositionen ausarbeitete, von denen eine in der Literaturbeilage der Tageszeitung Lidové noviny erschien.

Ein weiterer Titel dieses Abends ist die Klavierkomposition 1. X. 1905 („Von der Straße“). Dieses Werk entstand spontan als Reaktion auf eine Tragödie, die sich während der Demonstrationen für eine tschechische Universität in Brünn ereignet hatte. Nach jahrelangen Bemühungen um den Aufbau eines tschechischen Hochschulwesens in der Stadt hatte die Regierung entschieden, dass die Bürger Brünns selbst über eine tschechische Universität abstimmen sollten. Die überwiegend deutschsprachigen Einwohner der Stadt befürchteten jedoch einen größeren tschechischen Einfluss, so dass ihre Repräsentanten für den 1. Oktober 1905 einen sog. Volkstag einberiefen, bei dem deutsche Vereine und Institutionen aus der ganzen weiteren Umgebung ihren Widerstand gegen die Gründung einer tschechischen Universität in Brünn kundtun sollten. Als Reaktion darauf organisierten die tschechischen Einwohner der Stadt eine große antideutsche Demonstration. Die beiden Lager lieferten sich Straßenkämpfe, gegen die die Gendarmerie und schließlich auch die Armee einschritt. Bei einem dieser Einsätze wurde in der Nähe des Gemeinschaftshauses der junge tschechische Arbeiter František Pavlík getötet. Unter dem Eindruck dieses tragischen Ereignisses schrieb Janáček sein ursprünglich dreisätziges Werk Von der Straße I. X. 1905. Unmittelbar vor der Brünner Uraufführung am 27. Januar 1906 verbrannte er den letzten Satz, und nach einer weiteren Aufführung in Prag warf er gar das gesamte Manuskript in die Moldau. Glücklicherweise bewahrte die erste Interpretin des Stückes, die Pianistin Ludmila Tučková, ihre Abschrift der ursprünglichen Version auf, was sie erst 1924 bekannt machte. So ist dieses von seinem Schöpfer wie auch der Musikwelt für viele Jahre vergessene Klavierwerk der Nachwelt erhalten geblieben.

Den Klavierzyklus Im Nebel vollendete Janáček im April 1912. Kurz zuvor, im Jahr 1910, war er mit seiner Gattin und der Haushälterin in ein neues Häuschen im Garten der Organistenschule umgezogen, wo er, von der Welt abgeschirmt, mit angegriffenem Selbstbewusstsein und melancholischen Stimmungen hingegeben, sein letztes umfangreicheres Werk für Soloklavier komponierte. Sein Werk begann er, nachdem er kurz zuvor die Klavierwerke des französischen Komponisten Claude Debussy gehört hatte, und so ist es kein Zufall, dass sein träumerisches, melancholisches Werk Elemente des Impressionismus zeigt. Der Zyklus Im Nebel errang den ersten Preis in einem Kompositionswettbewerb des Klubs der Kunstfreunde, welcher die siegreiche Komposition hätte publizieren sollen. Janáček überließ diese Möglichkeit jedoch seinem Schüler Jaroslav Kvapil, dem zweiten Preisträger des Wettbewerbs. Der Zyklus Im Nebel erklang in der Interpretation Marie Dvořákovás erstmals am 7. Dezember 1913 in Kroměříž.

Geboren ist Herr Jesu Christ ist ein kleines Klavierstück Janáčeks, das er zu Weihnachten 1909 als Teil des Feuilletons Innere Lichter in der Tageszeitung Lidové noviny herausgab. Ein ähnliches kleines Auftragswerk ist das Stück Erinnerung, welches 1928 auf eine Bitte des jugoslawischen Komponisten und Musikwissenschaftlers Miloje Milojević hin für die Belgrader Zeitschrift Muzika entstand.

Jiří Zahrádka